Buchtipp: „Die Mittagsfrau“ von Julia Franck

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Autor: S. Benedict-Rux
20. Oktober 2007

MittagsfrauNach Kriegsende ist eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn auf der Flucht vor der Roten Armee. In einem Bahnhof steigen sie um, sie lässt ihn auf dem Bahsteig warten und sagt, dass sie gleich wiederkäme. Sie wird nicht wiederkommen. Peter, so heißt der Junge, wird umsonst auf seine Mutter warten.

Dieses verstörende Bild malt Julia Franck in dem Prolog zur „Mittagsfrau“, ein Bild das Fragen aufwirft. Von den Geschichten die an ein solches Bild anschließen können, drängen sich zwei ganz besonders auf: eine Geschichte, die erzählt wie es dazu kommen konnte oder die Geschichte,  die erzählt wie das Kind nach diesem traumatischen Erlebnis weiterlebt, weiter leben kann. Julia Franck erzählt im wesentlichen die erste dieser Geschichten.

Es ist die Geschichte von Helene, der jüngsten Tochter des Buchdruckmeisters Würsich und seiner jüdischen Frau Selma. Sie beginnt mit einer allenfalls äußerlich idyllisch wirkenden Kindheit in Bautzen. Die Mutter nimmt ihre Töchter kaum wahr, vor allem nicht die jüngste, Helene. Sie trauert den bei der Geburt verlorenen Söhnen nach. Nachdem ihr Ehemann gegen ihren Willen in den ersten Weltkrieg zieht, aus welchem er schwer verletzt und sterbend zurückkehren wird, zieht sich Selma immer mehr in sich zurück und stößt ihre Töchter zunehmend von sich. `Blind am Herzen´ nennt Helene ihre Mutter und sucht Kompensation in einer sehr engen Beziehung zu ihrer Schwester Martha. Als sich für die beiden Schwestern die Möglichkeit ergibt zu ihrer Tante Fanny nach Berlin zu ziehen, nehmen die Beiden die Gelegenheit gerne wahr. Martha arbeitet dort als Krankenschwester und stürzt sich in ihrer Freizeit ins Berliner Nachtleben. Helene hat ebenfalls Krankenschwester gelernt und würde gerne studieren, muss sich aber vorerst mit einer Stelle bei einem Apotheker zufrieden geben. Während sich ihre Schwester im Berlin der goldenen Zwanziger vergnügt, bleibt sie die ersten Jahre abends alleine zuhause und liest sich durch die Bibliothek der Tante. An ihrem neunzehnten Geburtstag darf sie erstmals mit und lernt den Studenten Carl kennen. Bald sind sie ein Paar und wollen heiraten, doch Helenes Leben wird sich nicht in der Weise entwickeln, wie sie es zu diesem Zeitpunkt hoffen darf.

Julia Franck erzählt mit einer zurückhaltenden Erzählerstimme. Sie erzählt die Mutter Selma, die trotz ihrer Ich-Bezogenheit manchmal für Augenblicke liebenswert erscheint, genauso wertfrei und kommentarlos, wie das Leben und Verhalten ihrer Tochter Helene, deren kurze und lieblose Ehe mit dem Ingenieur Wilhelm, ihren Umgang mit den Patienten, ihrem Sohn Peter, der Angst vor der Entdeckung ihrer jüdischen Herkunft. Die beiden Frauen erscheinen dennoch als Opfer der Verhältnisse und des Schicksals. Helene verstummt, zieht sich ebenfalls zurück, wenn auch auf eine andere Weise als ihre Mutter, denn sie ist heillos überfordert. Während eines Waldspaziergangs, so kann man vermuten, kommt ihr der Gedanke ihr Kind zurück zu lassen. Aber nicht weil ihr Sohn ihr gleichgülitg wäre, dagegen sprechen andere Situationen, etwa ihre Reaktion als sie Peter in der zerstörten Wohnung an sich drückt. Helene verlässt ihr Kind, weil sie glaubt, dass es Peter überall besser haben wird als ausgerechnet bei ihr. Der Gedanke, dass dies vielleicht das Schlimmste ist, was sie ihm anzun kann, scheint ihr nicht zu kommen…

Figuren die Helene näher sind, werden lebendiger gezeichnet als andere, die manchmal etwas oberflächlich wirken. Dies trifft insbesondere auf die Männer dieses Romans zu, die Helene weitgehend fremd bleiben und damit auch dem Leser. Im weiten Bogen durch Helenes Lebenslauf kann man manchmal vergessen, worum es ursprünglich eigentlich ging – langweilig wird dieser Familienroman aber deshalb noch lange nicht.

Julia Franck: Die Mittagsfrau, Roman.  S. Fischer, 2007.

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