Mit „Der Kinderdieb“ eröffnet uns Brom seine eigene neue, düstere Verarbeitung des Peter Pan-Stoffs
Dunkel. Schaurig. Blutig. Das mag einem nach dem Lesen von Broms bereits dritter Veröffentlichung „The Child Thief“ möglicherweise in den Sinn kommen. Das heißt, wenn man sie nicht schon vorher aufgrund eines kalten Schauers beiseitegelegt hat. Ja, Brom mag es finster und grausam, was bereits seine vorherigen Bücher deutlich klar machen („The Plucker“ und „The Devil’s Rose“). „Der Kinderdieb“ ist jedoch der erste Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde – gut für Gruselfans und Anhänger von finsteren Fantasygeschichten, eher schlecht für Menschen mit schwachen Nerven, die weder auf Schauermärchen stehen, noch Blut sehen können. Oder davon lesen möchten.
Schon das erste Kapitel lässt den Leser ungefähr erahnen, auf was für eine Art von Geschichte er sich da eingelassen hat: Ein 14-jähriger Junge namens Nick, zu Hause im „Big Apple“, der Stadt New York, ist gerade dabei, vor seinem kriminellen Zwangsmitbewohner Marko zu fliehen, dem er durch das Stehlen von dessen Drogen den nächsten Coup vermasseln will. Dank schlechter Planung dauert es allerdings nicht lange, bis Markos Leute ihn schnappen und stellen – glücklicherweise taucht genau im richtigen Moment Peter auf, ein seltsamer Junge mit roten Haaren und spitzen Ohren, der ihn aus seiner misslichen Lage befreit. Nachdem die beiden den Rest der Nacht mit Stehlen und Davonrennen verbracht haben, bringt Peter Nick zum Hafen, wo er ihn auffordert, ihn aus freien Stücken nach Avalon zu begleiten, einer Insel, auf der man niemals erwachsen wird. Mit dem Wissen, nicht wieder in seine alte Welt zurückkehren zu können und der festen Überzeugung, Peter spinne, folgt Nick ihm schließlich durch den Nebel – und beginnt somit ein tödliches Abenteuer.
Denn wie er später erfahren wird, liegt Avalon im Sterben. Nur die Magie der weißen Dame, Peters Vertrauter und quasi Ersatzmutter, hält das was von der Insel übrig geblieben ist, noch am Leben. Um diese und dadurch auch seine heißgeliebte Dame zu retten, hat Peter eine Truppe von Jugendlichen, die Teufel genannt, zusammengestellt, um sein Ziel zu verwirklichen. Das aber scheint alles andere als leicht zu erreichen: Sogenannte Fleischfresser, Barghests, Sluagh und andere ungemütliche Mitbewohner der Insel machen Peter und seinen Teufeln das Leben schwer. Buchstäblich. Und somit verwandelt sich Nicks Alltag in einen einzigen Kampf: ums Überleben, Anerkennung, Integration – und um sich selbst.
Nicht allein der Inhalt des Romans, der keine Grausamkeit ausspart, beschwört die bedrückende, düstere Stimmung der Geschichte herauf, sondern auch die direkte und ungeschminkte Sprache. Sätze wie „Er hakte die Klinge in eine Darmwindung und zog sie halb aus der Wunde“ sind keine Seltenheit. Jugendslang wird genauso unverhohlen nachgezeichnet: Fuck, Scheiße, Yo, Fick dich und so weiter – alles im Repertoire und deshalb authentisch.
Wer jetzt allerdings glauben mag, „Der Kinderdieb“ hätte nichts weiter zu bieten als eine platte, mit Blut gespickte Geschichte, die derb erzählt wird, hat weit gefehlt.
Dank des Aufbaus der Erzählung fühlt sich der Leser in die Welt Avalons einbezogen und tappt gleichzeitig völlig im Dunkeln. Er weiß genauso viel – oder genauso wenig? – wie Nick, der erst nach und nach ans Licht bringt, was eigentlich hinter all dem Ganzen steckt. Selbst die Passagen, die von Peter handeln, helfen dem Leser vorerst nicht, die Hintergründe und Vernetzungen zu begreifen.
Dafür erfährt er Stück für Stück von Peters Vergangenheit, die aber nicht weniger grausam ist, als seine Gegenwart. Neben den barbarischen Geschehnissen finden die menschlichen Abgründe und Tugenden auch noch ihren Platz. Bei all dem Blut, das durch die Gegend spritzt, und den sich ständig überschlagenden Ereignissen der Handlung, kann man sie leicht übersehen. Trotzdem sind sie da, verborgen in der Ambivalenz der Charaktere, und trüben das Schwarz-Weiß-Denken, das man noch zu Beginn des Romans hatte, immer mehr, bis man sich schließlich genau wie Nick die Frage stellt: Wer ist dieser Peter eigentlich?
Spätestens nach dem Lesen des Buches kann Jeder sich selbst die Antwort geben. Das natürlich genauso endet, wie es begonnen hat: Mit Gewalt, Blut, Action, Angst – und einem Peter, der nur spielen will.
Brom: Der Kinderdieb, Knaur Taschenbuch 2011
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Anmerkung der Redaktion: Der 1965 in Amerika geborene Gerald Brom erreichte mit „Der Kinderdieb“ den zweiten Platz beim Deutschen Phantastik Preis 2011 in der Kategorie „Bester internationaler Roman“.