Eintauchen in die Welt von Günter Grass
Heute jährt sich der Todestag des Nobelpreisträgers für Literatur, aber auch des Grafikers und Bildhauers Günter Grass (1927-2015), der vor einem Jahr 87-jährig verstorben ist. Zu diesem Anlass treffen sich frühere Weggefährten von Grass am heutigen 13.04.16 ab 18.30 Uhr im Günter Grass-Haus in Lübeck zur „Langen Nacht für Günter Grass“, sprechen über verschiedene Aspekte von Person und Werk des vielseitigen Künstlers und politischen Intellektuellen, der immer wieder auch im positiven wie im negativen Sinn Debatten ausgelöst hatte. Die lange Nacht solle künftig in ähnlicher Form jährlich zum Todestag stattfinden, so der Leiter des Hauses, Jörg-Philipp Thomsa.
Ebenfalls zum ersten Todestag erscheint im Steidl-Verlag die „Trilogie der Erinnerung“, ein Band , der die drei jüngsten autobiographischen Werke „Beim Häuten der Zwiebel“, „Die Box“ (2008) und „Grimms Wörter“ (2010) umfasst.
Letzteres hat der Dresdener Jazz-Schlagzeuger und langjährige Weggefährte von Günter Grass, Günter Baby Sommer, vertont und wird die Vertonung in einer Matinée zusammen mit der Lyrikerin Nora Gomringer im Lübecker Theater am kommenden Sonntag den 17.04.16 auf die Bühne bringen. Die Bühnenfassung des Textes hatte Günter Grass noch gemeinsam mit Sommer erarbeitet.
Der Werkstattbericht „Sechs Jahrzehnte“
Das Literatur Blog nimmt den Jahrestag zum Anlass, mit dem 2014 erschienen Werkstattbericht „Sechs Jahrzehnte“ ein Stück weit in die Welt des doppelbegabten Günter Grass einzutauchen. Sein Bericht beginnt mit dem mutigen Entschluss des neunzehnjährigen Grass, Bildhauer zu werden. Er trifft diesen im Hungerwinter 1946/47, als nach einem heißen trockenen Sommer mit Ernteeinbußen die Menschen zusätzlich noch mit langer und grimmiger Kälte zu kämpfen hatten. Grass ließ sich nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft zunächst zum Steinmetz und zum Steinbildhauer ausbilden, da die Kunstakademie in Düsseldorf wegen Kohlenmangels geschlossen hatte. 1948/49 wird er dort aufgenommen.
Chronologisch reihen sich nun Skizzen und Zeichnungen, Lithografien und Radierungen, veröffentlichte und unveröffentlichte Gedichte, immer wieder Arbeitspläne und Manuskriptseiten – handgeschrieben oder auf einer seiner Olivettis getippt, etliche Entwürfe für die Buchumschläge seiner Werke. Oder Fotos – sei es von Aufführungen seiner Stücke, Blicke in seine Werkstätten, Günter Grass bei der Arbeit oder zusammen mit Weggefährten. Dazwischen immer die sortierende und einordnende Stimme und Hand von Grass, der Bezüge herstellt, Beziehungen zwischen Leben und Werk, zwischen Wort und Kunst in sechzig Jahren literarischen und künstlerischen Wirkens aufzeigt.
Ich jedoch stand ohne Manuskript da: wieder einmal enteignet, zudem leergeschrieben und als Zeichner um letzte Grauwerte gebracht.
Sichtbar wird immer wieder nach der Beendung eines größeren Werkes wie der Fertigstellung von Romanen, wie Grass sich mit bildkünstlerischen oder plastischen Arbeiten wieder neu auffüllt. Während Zeichnen und Schreiben oft Hand in Hand gingen und einander befruchteten, drohte nach Abgabe der endgültigen Fassung von Text und häufig auch Buchumschlag ein schwarzes Loch. Dem schien er zu entgehen, indem er sich jeweils als Künstler wieder neu erfand. Sei es, dass er wieder zum plastischen Arbeiten mit Ton zurückkehrte oder nach Beendigung des Romans „Ein weites Feld“ die Aquarellmalerei wiederentdeckte, was dann 1996 zu den ersten Aquadichten – Aquarellen mit integrierten Gedichtzeilen – führte.
„Sechs Jahrzehnte“ ist eine verlockende Einladung, sich tiefer auf das literarische wie künstlerische Werk von Günter Grass einzulassen und die wechselseitige Beziehung zu erkunden. Eine Mischung von Autobiographie und Dokumentation, garniert mit Gedichten, Reden und Kommentaren, warten darauf vom Leser entdeckt, vorwärts- und rückwärts gesehen und gelesen zu werden. Der im Text immer wieder spürbare Gestaltungswille, seine deutlich hörbare eigenwillige Stimme geben einem dabei das Gefühl, als sei Grass noch immer da.
Günter Grass: Sechs Jahrzehnte. Steidl Verlag 2014
544 Seiten
ISBN 978-3-86930-831-92014
€ 45,00
Mehr Informationen u.a. zur „Langen Nacht für Günter Grass“ und der Matinée unter http://grass-haus.de