Die Entwicklung des Fußballspiels
Von August Werner
Fußball ist nicht nur der populärste Sport der Welt, er prägt seit über hundert Jahren auch eine eigene Kultur abseits des Spielfelds. Eine gewachsene Fankultur pflegt auf der ganzen Welt ihre verschiedenen Traditionen, hat Menschen inspiriert, seine Spuren hinterlassen. Und Fußball lässt sich gut vermarkten. Millionen lassen sich mit der richtigen Ansprache an ein Fernsehpublikum verdienen. Egal ob sie mehr oder weniger begeistert sind – sie schauen zu, wenn die Kugel rollt.
Eine Kulturgeschichte des Fußballs kann daher mit zahlreichen Anekdoten aus der bunten Welt des beliebten Ballsports aufwarten. So beginnt Klaus Zeyringers Buch auch direkt mit einem Vorwort, das Sternstunden des Spiels ebenso wie tragische Momente in Erinnerung ruft und gleich eine Gänsehautatmosphäre wie beim Singen der eigenen Nationalhymne erzeugt. Diese Emotionalität ebbt während der gesamten Lektüre nicht ab, sondern trägt den Leser in einem kunstvollen Erzählstrom über mehr als 450 Seiten. Wie Zeyringer seine Kapitel beginnt, ist eine gekonnte Inszenierung, die (bewusst oder unbewusst) Parallelen zu den Auf und Abs eines Stadionbesuches erzeugt.
Im Buch geht es von den Ursprüngen des Fußballspiels, der in einer Vorform bereits bei den Römern verbreitet war, bis zu seiner rasanten Entwicklung im 20. Jahrhundert. In seiner fundierten Abhandlung beschreibt Zeyringer, wie aus einer traditionellen Rauferei um den Ball an einigen englischen Hochschulen über hundert Jahre hinweg das Massenphänomen Fußball entstand. Es wird klar, dass es der richtige Sport zur richtigen Zeit war, der sich rasch zu einem Inbegriff von Moderne entwickelte. Dazu trugen die festen Regeln sowie der Ehrenkodex der ersten Gentlemen-Spieler bei. Dieses Image verbreiteten die frühen Massenmedien Zeitungen und Radio, später das Fernsehen, was den Fußball schließlich vollends zu einem Trendsport machte.
Bei Zeyringers Analyse kommen zahlreiche Fakten und Hintergründe zur Sprache, die in der geschönten Berichterstattung unserer Tage kaum vorkommen. Es geht immer auch um die Story dahinter. Er blendet nicht aus, wenn das Spiel zu Ende ist und die Regie der Fußballverbände in die Studios schalten lässt. Einzelschicksale, internationale Beziehungen, politische Verwicklungen, Tragödien, Todesfälle, Geschlechterdifferenzen und natürlich der immer stärkere Machtzuwachs der FIFA sind nur einige Themen der ausführlichen Studie.
Die Vereinnahmung des Sports durch totalitäre Regime, die beispielsweise Stadien als Gefängnisse oder gar Hinrichtungsstätten zweckentfremdeten, schockiert geradezu. Ebenso die These, dass die Dribbelkunst der Brasilianer und anderer Teams daher rührt, dass schwarze Spieler einst ohne Folgen durch den Schiedsrichter gefoult werden konnten und sie dadurch eine spezielle Ballbeherrschung entwickeln mussten. So geht der Erzählstrom über zu den sozialen und politischen Effekten des Ballsports bis hin zu seinen Spuren in der Alltagskultur, nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt, über Afrika und Japan bis nach Lateinamerika und die USA.
Wer endlich etwas zum Wandel der Spielweise auf dem Feld wissen möchte, kommt ebenso auf seine Kosten. Wir erfahren, warum die Deutschen nach der Wiedervereinigung und dem WM-Titel 1990 nicht „auf Jahre unschlagbar“ waren, wie es Franz Beckenbauer prognostiziert hatte und was sich nach der darauf folgenden enttäuschenden Durststrecke am Spiel der Nationalmannschaft veränderte, bis schließlich 2014 in Brasilien der erneute Titel-Gewinn gefeiert werden konnte. Insgesamt eine Lektüre zum Staunen und Grübeln, die nicht nur Fußballfans interessieren dürfte.
Klaus Zeyringer: Fußball. Eine Kulturgeschichte. S. Fischer 2016. 480 Seiten. 12,99 Euro.
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