Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2002 sprechen zwei Seniorinnen die SPD-Kandidatin Lale Akgün an und zeigen sich überrascht, dass sie gut deutsch spricht und kein Kopftuch trägt. Lale Akgün stellt diese Anekdote den Episoden über ihre Familie voran – waren diese Vorurteile, die ihr sicher tausendfach begegnet sind, Auslöser für ihr Buch „Tante Semra im Leberkäseland“?Wenn ja, so gleich vorneweg, nimmt sie derartiges offenbar mit Humor und schwingt nicht den moralischen Zeigefinger. In Tante Semra im Leberkäseland berichtet Lale Akgün jedoch nicht von ihren Erlebnissen als Politikerin, sondern von der Zeit davor. Im leichten Plauderton erzählt die Autorin Anekdoten aus ihrer Familie, beginnend von ihrer Ankunft in Deutschland bis hin zu dem Zeitpunkt als sie eine junge Mutter ist, verheiratet mit einem überhaupt nicht machohaften türkischen Mann, der viel Zeit mit dem Aufziehen der gemeinsamen Tochter verbringt.
Ihre Familie, das sind neben etlichen anderen ihr Vater, Zahnarzt und überzeugter Sozialist, und ihre Mutter, Mathematikerin und überzeugte Kemalistin. Dann ist da noch ihre Schwester, die eine Liebe zu Klatschblättern und dem Adel entwickelt, ihre Cousine Nihal welche in eine Familie einheiratet, die anders als die Akgüns eher dem Klischee entsprechen, die man hierzulande von türkischen Familien hat – ja und natürlich die titelgebende Tante Semra, die den Spagat hinbekommt einerseits eine Pilgerfahrt nach Mekka zu unternehmen und dennoch die Regeln so weit ausdehnt, dass selbst der Leser ins Staunen kommt.
Aus den Spannungen, die sich durch unterschiedliche Lebensstile ergeben können, entstehen Situationen, die die Lale Akgün mit unverkrampften Humor zu erzählen weiß. Es scheint, als gehe es der Autorin (neben dem Wunsch ihre Leser gut zu unterhalten) vor allem darum aufzuzeigen, wie unterschiedlich Mitbürger türkischer Herkunft sein können, wie wenig sie manchmal (oder gar oft?) den Klischees und Vorurteilen entsprechen, mit denen wir an sie herantreten. Und, augenzwinkernd, wie sich doch so manches im Leben von Familien ähnelt – gleich welcher Herkunft wir auch sein mögen.
Fazit: Tante Semra im Leberkäseland ist angenehm und schnell zu lesen. Das Buch spielt auf eine schöne Art und Weise mit den Vorstellungen und Vor-Urteilen, die wir Menschen mit türkischem Migrationshintergrund entgegenbringen und wirbt so für einen offenen und freundlichen Umgang miteinander.
Lale Akgün: Tante Semra im Leberkäseland. Geschichten aus meiner türkisch-deutschen Familie, Krüger Verlag 2008
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Zur Autorin:
Lale Akgün wurde 1953 in Istanbul geboren und kam mit neun Jahren nach Deutschland. Nach dem Abitur studierte sie Medizin und Psychologie. Viele Jahre arbeitete sie in der Jugendhilfe. Aus einem sozialdemokratischen Elternhaus stammend, trat sie 1982 in die SPD ein und war für diese von 2002-2009 sogar als Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Darüber hinaus war Frau Akgün migrationspolitische Sprecherin und Islambeauftragte der SPD. Aktuell ist sie Leiterin des Referats für internationale Zusammenarbeit im Ministerium für Generationen, Familien, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen.
Im September 2010 ist ein weiteres Buch Lale Akgün im Krüger Verlag erschienen. Es trägt den Titel: „Der getürkte Reichstag: Tante Semras Sippe macht Politik“. Hier erzählt sie aus ihrem politischen Alltag als Abgeordnete.
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