Dem Volk aufs Maul (sc)hauen?

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Autor: Gastrezension
7. März 2011

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von Michael Irle

Deutschland am Abgrund: Geplagt von einem allumfassenden Denk- und Sprechverbot
namens ‚political correctness‘, das eigentlich nur ein Wahngebilde der Rechten ist und
Menschenverachtung neu und mutig erscheinen lässt. Die Meinungsfreiheit ausgehöhlt,
weil der ‚linksgrüne Terror‘ ‚unbequeme Wahrheiten‘ nur noch in Millionenauflage erlaubt.
Die Demokratie ist bedroht und nur eines kann sie retten: eine starke, charismatische
Persönlichkeit, die sich endlich mal hart durchzugreifen traut, die bolschewistische Gefahr
abwehrt und endlich das tut, was ein Politiker tun soll: dem Volk aufs Maul schauen.
Letzteres tut auch Sara Zinn in “Deutschland schlafft ab”. “Wer ist schuld? Die Ausländer
natürlich. Aber auch inkompetente Politiker. Gierige Manager. Speziell Ackermann. Die
Medien. Die Amis. Die Taliban.” So begibt sie sich in die Abgründe deutscher Bierseligkeit,
die einfache Antworten auf komplizierte Fragen gibt und versucht, die Schuldigen “aus
aller Welt”, “Politik & Religion”, “der Arbeitswelt” sowie “von Nebenan” aufzuspüren.

Was zunächst eine Antwort auf Sarrazin und andere verkappte Nazis zu sein scheint,
entpuppt sich bald als ein Kompendium der Vorurteile, irgendwo zwischen Mario Barth
(d.h. stumpfer Nachbetung billiger Klischees) und guter Satire. So zeigt sie z.B. auf, warum
Auswanderer häufig wieder nach Deutschland zurückkehren (“Im Ausland angekommen,
muss der Deutsche leider feststellen, dass sich dort noch mehr Ausländer herumtreiben als
daheim”) und bedauert die unsägliche Finanzierung unserer heimlichen Staatsreligion aus
Steuermitteln (“Das Kirchensteueraufkommen im Jahr 2008 belief sich auf 5,2 Milliarden
Euro. Was man damit – außer Missbrauchsfälle zu vertuschen – alles machen könnte!”).
Doch dass Grüne auf Parteitagen stricken und Friseure Sven, Kai oder Jens heißen, ist nur
harmloses Geschwurbel und man fragt sich, was Sara Zinn damit überhaupt bezweckt,
außer das Buch zu füllen und billige Lacher einzuheimsen, wahrscheinlich sogar von
denjenigen, die sie vorführen möchte. Platzfüller wie diese sind es, die den Großteil des
Inhaltes ausmachen und dem Buch eher schaden als nützen. Einige sind zwar wieder
witziger, aber eben doch nur bloße Comedy ohne Bezug zu „Deutschland schafft sich ab“,
obwohl Buchtitel und -cover genau das suggerieren.

Den Leser erwartet aber Schlimmeres: “Deutschland schlafft ab” lässt sich nicht vernünftig
lesen. Sind Vor- und Schlusswort sowie die Einleitungen der Kapitel noch in Prosa
geschrieben, wird jede Gruppe von Schuldigen nur in wenigen Sätzen abgehandelt, ehe
stichpunktartig und oftmals viel zu lange “Fakten für den Stammtisch”, “Sätze, die man
kennen muss”, “Hintergrundwissen” usw. aufgelistet werden. Das wirkt dermaßen
abgehackt, dass sich jeder vernünftige Leser nach relativ kurzer Zeit förmlich auf
Stammtischniveau hinuntersaufen müsste, um überhaupt eine Chance zu haben, den
Lesespaß aufrecht zu erhalten.

Wie löblich die Idee hinter diesem Werk auch sein mag, man hätte sie wesentlich besser
umsetzen können. Schade, dass das der Autorin nicht gelungen ist. “Besser als Sarrazin”?
Grundsätzlich ist ja alles besser als Sarrazin. Doch der meinerseits erhoffte Schlag gegen
die verlogene Debatte eines sich renazifizierenden Landes ist leider nur einer ins
gesellschaftliche Klowasser, der zwar jede Menge Dreck aufwirft, aber nicht diejenigen
damit besudelt, die ihn permanent absondern. Schauen kann sie ja, die Frau (?) Zinn, aber
das Hauen kommt leider viel zu kurz.

Sara Zinn: Deutschland schlafft ab. Die besten Vorurteile und jede Menge unnützes Halbwissen – so
gewinnen Sie jede Stammtisch-Debatte. riva Verlag: München. 2011. ISBN: 978-3-86883-128-3

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