Eine haarsträubende Jagd
von Bernhard Weber
Mit seinem „Wald der stummen Schreie“ präsentiert der französische Thriller-Autor Jean-Christoph Grangé, vor allem bekannt durch „Die purpurnen Flüsse“, seinem Publikum nun sein achtes Werk. Grangé-typisch dreht es sich auch hier wie immer um brutale Morde und die Abgründe, zu denen Menschen fähig sind.
„Wo bleibt für mich die große Liebe?“ Das scheint die Hauptfrage zu sein, die das Leben der Ermittlungsrichterin Jeanne Korowa bestimmt. Dies veranlasst sie auch dazu, ihren ursprünglichen Fall zu vernachlässigen und stattdessen das Abhören des Psychologen ihres Verflossenen zu organisieren. Diese Aufzeichnungen werden für sie bald zur Obsession, zumal sie eine große Sympathie für die Stimme des Therapeuten Antoine Féraud entwickelt. Ihre Begeisterung für den Therapeuten tritt jedoch in den Hintergrund, als sie einen spanischen Patienten davon sprechen hört, dass sein Sohn in der folgenden Nacht jemanden in Paris töten werde. Als an der angegebenen Stelle dann tatsächlich eine Leiche gefunden wird, die auch noch in das Muster der brutalen Serienmorde passt, zu welchen sie von einem Kollegen zur Aufklärung hinzugezogen wurde, konzentriert sie sich nunmehr ganz auf diese Ermittlungen. Bei weiteren Nachforschungen wird obendrein jener Kollege ermordet und sie beschließt den Mörder, dessen Namen sie ja bereits kennt, auf eigene Faust zu jagen. Dies führt zu einer Verfolgungsjagd bis in die Tiefen Lateinamerikas und in den „Wald der Ahnen“, die in einem ebenso vorhersehbaren wie abstrusen Ende gipfelt.
Die Eindrücke des Urwalds, die Gefühlswelt der Protagonistin, die Morde und ihre Schauplätze, all das schildert Grangé mit einer immensen Hingabe an Details, die dem Buch wohl eine besonders düstere Note geben sollen, auf Dauer aber eher langweilig und nervenaufreibend wirken. Überdies ermüdet der Leser nach und nach, wenn er sich bemüht, der Geschichte zu folgen, obwohl die Handlungsstränge einfach verknüpft sind. Von Jeanne Korowa, die der Leser auf ihrer Jagd begleitet, entsteht ein so unsympathisches Bild, dass man sich an manchen Stellen fragen muss, wie eine so naive, hormongesteuerte Frau „erfolgreiche Ermittlungsrichterin“ werden konnte. Dass Grangé hier erstmals einer Frau die Hauptrolle gibt, mag vielleicht ein Grund für die misslungene Charakterzeichnung sein. Lob allerdings verdient der Autor für die vielen Themengebiete, die er in die Handlung miteinfließen lässt: Autismus, Schizophrenie, Verbrechen und Brutalität lateinamerikanischer Militärjuntas, aber auch die Evolution der Menschheit; all dies wird auf elegante Weise miteingeflochten.
Die Themen hätten das Potenzial gehabt, eine spannende Geschichte abzugeben. Aber seien es die Bemühungen, mit grausamen Einzelheiten die Leserschaft zu schocken, die Protagonistin, die es nicht schafft, einen für sich einzunehmen, oder auch mit dem Schluss, nicht nur einen Hasen aus dem Hut zaubern zu wollen, sondern gleich einen tanzenden Elefanten: Einer der – laut Klappentext – „weltbesten Thriller-Autoren“ wird dieses Mal seinem Ruf nicht gerecht oder die Abgründe der Menschheit vermögen einfach nicht mehr zu schockieren…
Jean-Christoph Grangé: Im Wald der stummen Schreie, Lübbe Verlag 2011
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