Nicht hier und nicht dort

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Autor: S. Benedict-Rux
15. Dezember 2016

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Eine iranische Familie im Exil

Mit fünf Erzählerstimmen erzählt Shida Bazyar in ihrem mit dem Ulla-Hahn-Autorenpreis 2016 ausgezeichneten Romandebüt von den Hoffnungen und Ängsten einer iranischen Familie, die bald nach der Revolution von 1979 nach Deutschland geflohen ist, um drohender Verhaftung zu entgehen.

Behsad ist im kommunistischen Widerstand. Mit Sorge sehen seine Freunde in der Revolutionären Gruppe und er die Entwicklung nach der Revolution von 1979. Bis zur Revolution haben sie gemeinsam mit der religiösen Opposition gegen den Schah gekämpft. Doch die Mullahs haben nach der Flucht des Schah die Macht übernommen und setzen sie mit Gewalt durch.

Plötzlich weißt du nicht mehr, wann aus dem gemeinsamen Kampf während der Revolution ein Kampf gegeneinander um die neue Herrschaft geworden ist.

Als etliche der kommunistischen Führer verhaftet werden flieht er mit seiner Frau Nahid und seinen beiden bis dahin geborenen Kindern aus dem Iran, um einer drohenden Verhaftung, Folter und Ermordung zu entgehen. Ihre Flucht ins Exil ist eigentlich als nur vorübergehend geplant, denn sie wollen so schnell wie möglich zurück in ihre Heimat. Daher kommen sie nicht wirklich in Deutschland an – ihre Herzen und Gedanken sind  im Iran. Viel Zeit verbringen sie, anfangs vor dem Radio später vor dem Fernseher, um zu erfahren, wie dort die Lage ist, ob es Hoffnung gibt für ihre inhaftierten Freunde und auf eine baldige Rückkehr.
Dies überträgt sich als Zerrissenheit auch ein Stück weit auf ihre Kinder. Sie, die gewissermaßen in beiden Ländern Ausländer sind, haben es schon deshalb schwer ihren Platz zu finden und die deutsche Gesellschaft macht es ihnen auch nicht leicht. Laleh, die älteste Tochter, deren frühe Kindheitserinnerungen noch mit dem Iran verbunden sind und tiefe Emotionen in ihr wach rufen kann sich dennoch bei einem dreiwöchigen Besuch dort nicht wirklich heimisch fühlen, in diesem Land wo im Schutze der Nacht flüsternd über diejenigen gesprochen wird, die verschwunden sind oder nicht mehr leben. Andererseits mag sie aber auch jungen Verwandten und deren Freunde nicht dazu raten, als Flüchtling nach Deutschland zu kommen. Was soll sie ihnen erzählen?

Dass die Flüchtlinge in Deutschland weder studieren noch arbeiten können und ihren Wohnort nie verlassen dürfen? Dass sie in Baracken untergebracht werden, die Neonazis anzünden, während die Polizei zuschaut?

Ihren jüngeren Bruder Mo suchen nachts Träume heim, in denen er im Iran ist. Als 2009 in der sogenannten Grünen Revolution die Menschen in Teheran auf der Straße sind, fühlt er sich schuldig. Schuldig, weil er dort nicht dabei ist um vielleicht mithelfen zu können, dass sich der Wunsch seiner Eltern erfüllt und stattdessen, halbherzig wie so viele andere, an den Studentenprotesten gegen die Bologna-Reform und die Studiengebühren in Deutschland teilnimmt. Er meidet den Kontakt mit seiner Familie im Iran. Es ist nicht, dass ihn seine Verwandten nicht interessieren, er möchte nur nicht dauerhaft leiden wie seine Eltern oder seine große Schwester.

Bazyar entwickelt ihren Roman zwar gewissermaßen ruhig und unaufgeregt, aber dennoch spannend und sehr eindringlich. Dies gelingt über die verschiedenen Erzähler – Vater, Mutter und die drei Kinder – die ihre je eigene Perspektive auf das Leben, den Geschehnissen im Iran beziehungsweise ihre dort lebenden Angehörigen und den Versuch eines heimisch Werdens in der Bundesrepublik Deutschland thematisieren. Obwohl zwischen den Erzählblöcken (vom Epilog abgesehen) jeweils zehn Jahre liegen gelingt es ihr, durch Rückgriffe auf die Vergangenheit und die Wiederkehr von Personen in den jeweiligen Kapiteln einen Teppich zu weben, der wie ein Ganzes wirkt, auch wenn nicht immer alle Muster in allen Einzelheiten zu erkennen sind, weil manche Stränge nur zeitweise verfolgt werden und sich im Ungefähren verlieren. Sichtbar wird das Bild zweier Generationen zwischen Heimatverlust, Hoffnung und dem Versuch der Bildung einer neuen Identität, die die Unterschiede in den Kulturen in sich zu integrieren lernt. Mit ihrem Roman gelingt es ihr, Außenstehenden eine leise Ahnung zu geben, wie sich dies wohl anfühlen mag. Sehr lesenswert!

Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Roman, Kiepenheuer & Witsch 2016453791733f00438e82490be0c08f23d0
ISBN 978-3-462-04891-9
[D] 19,99 €  [A] 20,60 €

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