Hendrik van Otterlo, ein berühmter Maler, ist alt geworden. Zwar zeichnet er noch, aber er zeigt seine Zeichnungen keiner Menschenseele mehr. Mit etwa Sechzig hat er als Reaktion darauf, dass ihn seine Freundin Cissy verlassen hat sein letztes gutes Bild gemalt, meint er. Danach hat er das Atelier zugeschlossen und nie wieder betreten. An dieses Gemälde hätte er nur anschließen können, wenn er bereit gewesen wäre sich darauf einzulassen, sich als Künstler neu zu erfinden. Das hat er nicht gewagt. Jetzt besteht sein Leben im wesentlichen nur noch aus dem schimpfen über die Gebrechen des Alters, den Gesprächen mit seiner Halbschwester Bettina und den Besuchen seines etwa gleichalten, seinerzeit ebenfalls sehr erfolgreichen Malerfreundes Jongerius Jr., der noch mitten im Leben steht.
Zu Beginn des Romans erreicht Van Otterlo die Nachricht, dass Cissy im fernen New York gestorben ist. Ihr Tod und die Bemühungen seines Umfeldes ihn zu aktivieren setzen einen Prozess in Gang, der den Maler dazu bewegt, sich selbstkritisch mit seinem vergangenen und gegenwärtigen Leben auseinander zu setzen, anstatt weiterhin verbittert nur noch auf den Verfall zu horchen und auf den Tod zu warten.
„Es war nicht, wie Jongerius glaubte, der Tod, der vorhin bei mir anklopfte, sondern das Leben, das noch etwas von mir erwartet.“ (77)
Zunächst widerwillig und nörgelnd verlässt er für kleinere Ausflüge das gewohnte Leben, in dem er sich eingerichtet hatte und nimmt wieder Kontakt mit der Außenwelt auf. Er überlegt sogar, noch einmal in sein altes Atelier zurückzugehen, welches ihm immer noch gehört und nach dem Willen einiger Leute einer Tankstelle weichen soll…
„Das Herz aus Seide“ ist kein handlungsreicher Roman. Er lebt von dem ironischen Unterton, der durch die Schilderung Van Otterlos schimmert, von seinen bissigen Kommentaren und der Nähe zu diesem egozentrischen, alternden Künstler. Der Maler macht sich letztlich auf, der Unausweichlichkeit des Alters zum Trotz, am Leben wieder teilzunehmen und den Kurs soweit es möglich ist zu korrigieren. Seine Egozentrik und sein festhalten am `Leben für die Kunst´ haben ihn seinerzeit auf einen falschen Weg geführt. Sich darüber Rechenschaft abzulegen ist zwar schmerzhaft, bedeutet aber auch, sich neue Chancen zu eröffnen. Wieweit dies Hendrik van Otterlo gelingt und gelingen kann, bleibt offen und der Interpretation des Lesers vorbehalten.
Fazit – eine poetische Altersreflexion voll Ironie und leiser Komik.
Remco Campert: Das Herz aus Seide. Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg. Arche Verlag 2007