Thomas von Steinaeckers Debütroman war für den Deutschen Buchpreis nominiert und gewann den aspekte-Literaturpeis 2007.
Von Steinaeckers Roman ist eine Art von Familienroman, der sich aber von den gängigen Vorstellungen unterscheidet. Da ist Günter Wallner, auf den im Roman nur wenig eingegangen wird, sein Sohn Stefan der mit Ana einer Deutsch-Rumänin verheiratet ist und gemeinsam mit ihr einen Sohn hat: Costin. Costin hat ein wechselvolles Leben, beginnt mit einer Popstar-Karriere, wird zwischenzeitlich Synchronsprecher, gründet dann ein Rocklabel. Sehr spät erst erfährt er, dass er aus Popstar-Zeiten eine Tochter hat – Wendy. Erzählt wird jedoch nicht eine Familiengeschichte im Sinne einer Folge von Ereignissen die aufeinander folgen und zusammen gehören. Außerdem beginnt der Roman in unserer Zeit und endet in der Zukunft.
Im wesentlichen hat das Buch drei Teile, in denen je eine Figur im Zentrum des Textes steht. Der erste Teil handelt von Stefan Wallner, der zusammen mit seinem Freund Uli Wiget erfolgreich eine Firma führt, sich dann aber von seinen Freunden und seiner Familie entfremdet, u.a. Verfolgungswahn entwickelt und ein Doppelleben beginnt. Im zweiten Teil ist Costin die Hauptfigur, seine kurze Karriere in einer Castinggruppe und seine Versuche durch Alternativen den Abstieg zu vehindern. Costin treibt durch die Medienwelt, synchronisiert Filme, findet sich in einer Reality-Show wieder… Die Gründung eines eigenen Musiklabels scheint ihn etwas zu stabilisieren. Er erfährt, dass er eine fast volljährige Tochter hat, einst auf einer Aftershow-Party gezeugt und überrascht wie froh eine Tochter zu haben, versucht er eine Beziehung zu ihr zu entwickeln. Wendy ist die Hauptfigur der letzten Teils, anfangs noch Schülerin später promovierte Literaturwissenschaftlerin…
Sprachlich ist „Wallner beginnt zu fliegen“ nicht schwer zu lesen. Die Sätze sind nicht sehr kompliziert, manchmal lakonisch. Schnell fällt jedoch auf, dass es sich immer wieder um kurze Ausschnitte handelt, die mitunter wiederholt werden, teils in Variationen. Der Text wirkt manchmal wie ein Montage, eine Collage aus verschiedenen Einstellungen und mit großen Lücken. Man hat den Eindruck von Puzzleteilen, die man als Leser zu einem Bild zusammensetzen muss. Im letzten Teil des Buches stellt sich heraus: es ist Wendy, die versucht sich aus dem Nachlass ihres Vaters ein Bild von ihrer Familie zu machen. Gegenstände, Fotos, Filmaufnahmen und Zeitungsausschnitte etc. versucht sie durch ihre Fantasie mit Leben zu füllen, frei nach der zu ihrer Zeit in der akademischen Welt wieder aufkommenden These, Geschichtsschreibung bediene sich „fiktionaler Plot-Muster“. Das Buch das man liest, so wird hier suggeriert, ist von Wendy geschrieben. Sie versucht sich einer möglichen Familiengeschichte anzunähern, in dem sie mögliche Ereignisabläufe und Beziehungen ausprobiert, da sie das wirkliche Geschehen nicht rekonstruieren kann.
Fazit: „Wallner beginnt zu fliegen“ ist ein sehr interessantes Buch, durchkomponiert und mit einem ganz eigenen Reiz. Anfangs ist es allerdings aufgrund seiner Konzeption etwas anstrengend zu lesen. Lesern, die einen Roman suchen, in dessen Geschichte sie sich hinein fallen lassen können, um sich vom Handlungsstrom tragen zu lassen, mag man es allerdings nur eingeschränkt empfehlen.
Thomas von Steinaecker: Wallner beginnt zu fliegen, Roman. Frankfurter Verlagsanstalt 2007
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