Im Osten geht die Sonne auf – und 1989 unter

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Autor: Gastrezension
14. Februar 2012

Buch bei amazon ansehen / bestellen  Von Sandra Fischer

Eugen Ruge verfasst mit seinem Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ eine ungewöhnlich politisch geprägte Familiengeschichte. Die Handlung ist aufgeladen mit politischen Eindrücken und den daraus folgenden Persönlichkeitsprägungen der Figuren. Eingebettet in Weltgeschichte wird die deutsch-deutsche Geschichte von vier Generationen einer Familie erzählt. 2001 ist Start- und Endpunkt des Romans, dazwischen springt die Erzählung durch die Jahre politischer Großereignisse wie Mauerbau, Mauerfall und schließlich den 11. September 2001.
Die älteste der vier Generationen bildet das Ehepaar Wilhelm und Charlotte, einstige Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, im Exil in Mexiko und doch wieder nach (Ost-)Berlin zurückgekehrt. Während Wilhelms Leben darin besteht, bis zur Feier seines 90. Geburtstags, der ebenfalls sein Todestag sein wird, am Kommunismus und der Partei festzuhalten, ist seine Frau- egal ob in Mexiko oder zurück in Berlin – in die Rolle der Ehefrau gezwängt und muss Wilhelms einfältige Sinnlosigkeiten und zunehmende Altersdemenz aushalten. Ihr Sohn Kurt ist durch seine Verschleppung in ein sibirisches Arbeitslager mindestens ebenso politisch geprägt, hat später als Historiker Erfolg, während seine russische Frau sich in Alkohol flüchtet. In der dritten Generation rebelliert Alexander gegen seinen Vater, gegen den Kommunismus, flüchtet in den Westen und ist bis 2001, als er schließlich in Mexiko landet, ruhelos. Während sein Sohn Markus nichts mehr mit den Idealen und Vorstellungen der DDR anfangen kann, denkt Alexander oft an seine Familie zurück, die ebenso ihren Niedergang erlebte wie der Kommunismus in Deutschland.
Ruges Erzählstrategie, Wilhelms 90. Geburtstag wiederholt in den Mittelpunkt zu stellen, zeigt ,wie auch andere wiederkehrende Ereignisse, eine komplexe Geschichte der jeweiligen Situationen und bietet tiefe Einblicke in die Weltgeschichte und die persönlichen Lebenslagen der Figuren. Durch diese Wiederholungen wird zudem die Verbissenheit der Figuren deutlich, wie zum Beispiel Wilhelms stumpfsinniges Festhalten an politischen Floskeln.
Ruge spielt mit den verschiedenen Perspektiven, aus denen in unterschiedlichen Jahren jeweils erzählt wird. Der sprachliche Stil variiert je nach Perspektive. Wenn zum Beispiel Alexander über den mittlerweile dementen Kurt redet, kommen Kraftausdrücke und obszöne Aussagen nicht zu kurz: „Nicht einmal den Arsch abwischen konnte er sich, man musste froh sein, wenn er sich zum Scheißen aufs Klo setzt“. Außerdem spielt der Autor mit sprachlichen Missverständnissen zwischen Deutsch und Russisch, die die Konflikte und unterschiedlichen Perspektiven der Generationen und Nationalitäten verdeutlichen.
Sprachlich überzeugend, deprimiert der Inhalt aber durch die Tatsache, dass am Ende alle Personen das gleiche Bild aufzeigen: unzufriedene, in Rollen gezwängt Personen, die, sei es durch politisch positive oder negative Prägung, nicht aus ihrer Haut können. Die politischen Verwicklungen sind komplexer, als man auf den ersten Blick erkennen kann, und fordern den Leser. Durchhaltevermögen und geschichtliches Mitdenken zahlen sich dann aber aus.

Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts, Roman einer Familie, Rowohlt 2011

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